Neue Organisationsstrukturen: Sind Kreise die Lösung?

Neue Organisationsstrukturen, Kreise, Soziokratie, Holakratie

 

Die Zeit schreitet voran. Probleme sind bei weitem nicht mehr zweidimensional, sondern multidimensional und müssen kollektiv gelöst werden. Der Kreis hält Einzug in die neue Arbeitswelt: Arbeitskreise bilden sich, man kann von Projektorganisationen sprechen oder cross-funktionalen Teams, die sogenannte end-to-end-Prozesse abdecken können. Idealerweise lösen sie sich auf und bilden sich neu, nach Bedarf. Der oder die klassische, dauerhafte Chef*in und Hierarchien verlieren an Bedeutung, da sie sich ständig und flexibel neu bilden müssten.

In neuen Organisationsformen, wie beispielsweise Holacracy oder Soziokratie, organisiert man sich ebenfalls in Kreisen. Die Organisation entscheidet darüber, ob es funktionale Kreise, markt- oder kundenorientierte Kreise, ganz andere oder sogar eine Mischung aus allen werden. Jeder Mitarbeitende kann in mehreren Kreisen tätig sein.

Wir mögen Kreise: Sie haben etwas integrierendes, gleichberechtigtes, hierarchiefreies und und und ... Kreise lösen wirklich viele Probleme unserer Zeit. Es gibt sogar eine eigene, sehr alte Kreiswissenschaft - es lohnt sich, diese einmal anzuschauen. Dabei geht dann um Uhren, Kreisläufe, Schwangerschaftsbauch, Planeten, Urvertrauen etc. - wirklich spannend. Fühlt sich sehr richtig an.

Der integrierende Charakter von Kreisen bringt leider auch eine ausgrenzende Wirkung nach außen mit sich. Das kann auch als Vorteil gesehen werden - endlich Klarheit, Identifikation, Motivation für die „Kreisbewohner*innen“ eines jeden Kreises. Das ist schon ein Fortschritt und man muss nun bei aller Partizipation und Transparenz auch nicht alles aus den anderen Kreisen wissen - Basisdemokratie wird ja schnell lähmend. Holacracy verbindet die Kreise über sogenannte Lead- und Rep-Links doppelt miteinander, Soziokratie tut dies über Leiter und Delegierte.

Wir merken bei unseren Kunden und uns selbst, wie die Kreisdenke erleichtert und Einfachheit, Struktur und Klarheit schafft. Entgegen vieler Gerüchte entsteht hierdurch jedoch keine Hierarchiefreiheit: es gibt übergeordnete Kreise und untergeordnete Kreise. Clever ist durch die doppelte Verlinkung jedoch die Gewaltenteilung, dass nicht an einer Stelle und in eine Richtung entschieden wird, sondern der "untere" Kreis durch den Delegierten im übergeordneten Kreis ein Vetorecht bekommt. Spannend!

Und da sind wir bei einem tricky Thema der Kreise: Zugehörigkeit! Zu welchem Kreis gehöre ich? Und wie finden sich die Kreise? Soziokratie gibt auch darauf Empfehlungen: Erst mal alles lassen, wie es ist und die Kreise über die aktuelle Struktur legen. Dann hat jeder seinen Platz und aus dieser bekannten Sicherheit heraus kann langsam Bewegung entstehen. Dann können sich Kreise verändern, auflösen, integrieren und neue sinnvolle Gruppierungen und Zugehörigkeiten entwickeln.

Bei einem unserer Kunden haben wir die Kreise an den aktuellen Quartalszielen der Abteilung ausgerichtet und alle Mitarbeitenden selbst wählen lassen, bei welchen Zielen sie sich einbringen wollen. Gerne auch bei mehreren. Über offene Wahlen (ein eigenes spannendes Thema für sich) haben wir Delegierte und Leiter gewählt. Ein bestärkender, transparenter und offener Prozess, der von allen (ausnahmslos!) akzeptiert und wertgeschätzt wurde. Uns haben diese Entwicklungen in Richtung Kreis angeregt damit zu experimentieren und darüber hinaus zu denken: In unserem Experimentierlabor lösen wir Kundenanliegen aber auch grundlegende Fragestellungen gerne mit selbstorganisierten Aufstellungen. Solche Aufstellungen sind das wirksamste und wertvollste Tool, das wir bisher kennen, um komplexe Dynamiken einfach (ja sogar selbstorganisiert) abzubilden. Dabei bekommen wir über das Fühlen direkten Zugang zum kompletten Erfahrungsschatz aller Beteiligten und man kann einfach und spielerisch ausprobieren, was sich für welchen Repräsentanten gut anfühlt und eine für alle Beteiligten angenehme Konstellation herausfinden. Abschließend lohnt es sich die Beteiligten zu fragen, wie sie es schaffen dorthin zu kommen und was ihnen dabei helfen würde.

Ein paar, wenn auch abstrakte Erkenntnisse wollen wir an dieser Stelle gerne teilen. Sie sind natürlich subjektiv, aber haben uns wertvolle Erkenntnisse und neues Gedankengut geliefert:

In vielen Aufstellungen kristallisiert sich als Lösungskonstellation intuitiv eine kreisähnliche Form durch alle Beteiligten heraus. Kreise und Kreisbeziehung sind integrierend und lösen einen Großteil der aktuellen Konflikte unserer Kunden, insbesondere zu internen Themen, wie Hierarchie, Identifikation, Wertschätzung und Transparenz.

Organisationen, die bereits auf diesem Reifegrad sind, gewinnen noch mehr Kraft, Spielraum, Motivation und Attraktivität nach außen (Kunde, Markt), wenn sie die Kreisform öffnen und in ihren Kreispunkten noch beweglicher werden. Wichtig hierbei ist jedoch:

o   Ein Beteiligter muss zur Gewährleistung der Stabilität und zur Ermöglichung der Beweglichkeit der anderen Kreiselemente zum Fixpunkt des Kreises werden. In unserem Fall hatte der Beteiligte die Rolle der Organisation bzw. des Purposes. Er wird nun vom gleichwertigen Kreiselement zu einer Art Kern. Dieser erlaubt, dass sich die bisherigen Kreispunkte parabelartig zum Kern bewegen können. Da merkt man, was für eine Stärke und Kraft ein guter Purpose bzw. eine stabile Organisation entwickeln kann. Er ermöglicht allen Beteiligten fast vollkommene Freiheit.

o    Jeder Kreispunkt muss den Fixpunkt kennen, zur Orientierung, nur dann kann er sich wohlfühlen in der freien Bewegung.

o   Die Bewegung der Kreispunkte in Summe dürfen nicht zu einem Schwindel beim Fixpunkt führen, sonst droht Überforderung. Das knüpft an ein anderes Thema an, das uns sehr bewegt: Wirksamkeit vs. Geschwindigkeit und die Wichtigkeit von Ruhe. Darüber in einem anderen Blogartikel mehr.

Einer unserer Kunden hat diese Erkenntnisse bereits teilweise in sein Organisations-Chart integriert, mit erstaunlicher Wirkung: Aus Abteilungen bzw. Kreisen sind eine Art Zellkerne geworden. Die Teams fühlen sich ihrem Zellkern als Heimat natürlich verbunden, dieser gibt auch Sicherheit und Struktur. Gleichzeitig können sie sich mehr nach außen orientieren und strahlen. Vernetzung liegt nun in der Natur des Organisations-Charts.

Unser Kunde und wir fühlen uns damit sehr wohl! In der Kreisform - einer der grundlegendsten Formen der Natur - findet sich eine sehr gute Antwort, deren Potenzial wir wahrscheinlich derzeit nur erahnen können.

Viel Spaß beim Ausprobieren!